Jüdisches Lehrhaus Göttingen Gründungsveranstaltung am 16. Juni 2002 Eva Tichauer Moritz

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Jüdisches Lehrhaus Göttingen e.V.

 

Rede der ersten Vorsitzenden
Eva Tichauer Moritz

 

 

Hochverehrter Herr Ministerpräsident Gabriel,
hochverehrte Frau Rabbinerin Prof. Dr. Goodmann-Thau; liebe Kantorin Mimi Sheffer,
lieber Prof. Dr. Thomas Buergenthal und Ehefrau Peggy, sehr geehrter Herren Bürgermeister Holefleisch und Gerhardy,
liebe „Feuerwehr“ des Jüdischen Lehrhauses,
einerseits Frau Sara-Ruth Schumann, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Oldenburg und 2. Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen,
andererseits Herr Herwig van Nieuwland, Präsident des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg,
liebe Frau Renate Wagner-Redding, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Braunschweig.  

Liebe Vertreter und Repräsentanten der politischen Gremien in Stadt und Landkreis Göttingen und der Gemeinden der im Entstehen begriffenen Region Südniedersachsen.
Liebe Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Göttingen und des Beth Shalom,
liebe Mitglieder der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, des Fördervereins Jüdisches Zentrum,
liebe Mitstreiter des Jüdischen Lehrhauses Göttingen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Freunde!

Wir knüpfen an,

so wie wir Göttinger Juden uns verpflichtet fühlen und stolz sind, anzuknüpfen an die Jüdische Gemeinde, die bis 1939 eine lange und alte Tradition in dieser Stadt vorzuweisen hatte, so knüpfen wir mit unserem Jüdischen Lehrhaus an eine mehr tausendjährige ununterbrochene Lerntradition an.  In der Rechtsform eines eingetragenen Vereins bestand von 1920 bis 1929 in Frankfurt das „Freie Jüdische Lehrhaus“, gegründet von Franz Rosenzweig und späterhin unter der vollen Mitwirkung von Persönlichkeiten wie Martin Buber und anderen Gelehrten wie Rabbiner Nobel, dem Juristen Eugen Mayer, dem Chemiker Eduard Strauß, dem Prof. für Geschichte der Medizin Richard Koch, dem Archäologen und klassischen Philologen Rudolph Hallo, den Rabbinern Salzberger, Ernst Simon, Norbert Nahum Glatzer, und... und... und.

Nach dem Tod Franz Rosenzweigs wurde die Arbeit des Lehrhauses eingestellt. 1933 wurde sie von Martin Buber wieder aufgenommen, jetzt ohne den Zusatz „frei“ im Titel, bis 1939 das Ende der zivilisierten Welt in Deutschland und anderswo eintrat.

Wir knüpfen auch persönlich an mit der Person unserer zweiten Vorsitzenden Dr. Cora Creutzfeldt-Glees, deren Mutter eine Cousine von Franz Rosenzweig ist. Diese Tatsache ist unserer lieben Mitstreiterin Cora allerdings erst im Zuge der Entstehung des Jüdischen Lehrhauses Göttingen bekannt geworden, als sie ihrer Mutter von ihren Göttinger Aktivitäten berichtete.

Vor der Gründung des Freien Jüdischen Lehrhauses Frankfurt:

Durch die Aufklärung und durch die Französische Revolution erlitt die jüdische Erziehung in Deutschland ebenso wie in Mittel- und Westeuropa einen entscheidenden Bruch. In einem fortschreitenden Prozess erfolgten Emanzipation und Assimilation. Der Preis der Emanzipation war die Aufgabe der jüdischen kollektiven Identität und die Reduktion des Jüdischen auf die Privatkonfession des Einzelnen.

Franz Rosenzweigs Kernfrage lautete:

Was kann getan werden, damit dieses jüdische Leben wieder wird?

Diese Frage stellen wir uns jetzt wieder, aufgrund der jüdischen Einwanderung aus der GUS: Wir müssen Grundkenntnisse gegen die Wirkung der Assimilation schaffen, um zu bewusstem Judensein zu bilden.

Das Jüdische Lehrhaus, heute wie damals, will denen die Rückkehr zum Judentum eröffnen, für die ihre Religion längst etwas Fremdes geworden ist, und denen helfen, denen das Judentum viel bedeutet, obwohl sie keine Juden sind, damit ein Lern-Dialog geführt wird.

Lernen aus der eigenen Erfahrung:

1912/1913 war es Franz Rosenzweigs Absicht, wie viele in seinem Alter, zum Christentum -überzutreten. Er sagte sich aber, dass er zuerst wissen müsse, was er verlässt, bevor er es letztlich mache.

So sammelte Franz Rosenzweig praktische Erfahrungen mit gelebter Religion, bis ihm ein Jom-Kippur-G'ttesdienst den Anlass bot, seine Absicht vom Juli 1913, Christ zu werden, zu revidieren.

Ich zitiere aus den Oldenburgischen Beiträgen zu Jüdischen Studien: „Am 31. Oktober 1913 schrieb er an seinen Vetter Rudolph Ehrenburg: „Lieber Rudi, ich muss dir mitteilen, was dich bekümmern und zunächst mindestens, dir unbegreiflich sein wird: ich bin in langer und, wie ich meine, gründlicher Überlegung dazu gekommen, meinen Entschluss zurückzunehmen. Er scheint mir nicht mehr notwendig und daher, in meinem Fall, nicht mehr möglich. Ich bleibe also Jude.“

Der Name „Lehrhaus“ verweist auf eine zweitausendjährige ununterbrochene Lerntradition. Gelernt wurde teils allein daheim, vorzugsweise aber in Gemeinschaft im Lehrhaus, laut, den Text wiederholend, einprägend, auswendig lernend, und im Zwiegespräch diskutierend und argumentierend.

Im Dialog lernen: Eben wie in der „Judenschul’“, die unter Juden verbreitete Gelehrsamkeit, in der sie „lernten, wie man lernt“.

Hören, Denken, Sprechen, einen Dialog mit dem Gegenüber entwickeln. Dieses ist unsere Aufgabe.

Vom Leben zur Tora, zu den Schriften, als Rückweg ins Judentum, als „Er-innerung“.

Nicht die traditionellen Lehrer des Judentums, die Rabbiner, überwogen im Lehrerkreis des Lehrhauses, sondern die jüdischen Unwissenden, die den Rückweg ins Judentum zu gehen hatten.

Der Lehrer wird zum Anleiter im gemeinsamen Fragen, zum selbst Hörenden, zum potenziell von seinen Schülern Lernenden – was ein Ideal auch des antiken Lehrhauses war.

Dass wir Juden sind, dass wir Fehler und Tugenden haben, ist uns oft genug von uns selbst und anderen gesagt worden. Wir haben es zu oft gehört und werden es immer wieder hören. Das Lehrhaus soll uns lehren, warum und wozu wir es sind. Der Grundgedanke ist die Rückkehr zu jüdischem Lernen, zu jüdischen Quellen, zu jüdischem Leben.

Heute feiern wir die Eröffnung des Jüdischen Lehrhauses Göttingen.

Angefangen zu Lernen in dieser neuen Form haben wir schon vor fünf Monaten, quasi als „Probe“. Wir haben lange diskutiert über Themen wie

a) die Akkeda, die Opferung Jitzaaks;

b) G'tt und ich;

c) Jakob dient um Lea und Rachel;

d) Israel und wir;

e) Wie konnte das Judentum weiterleben, trotz Knechtschaft, Verfolgung, Pogromen und Shoa?

Unsere Antwort an den neu wachsenden Antisemitismus jeglicher Art ist, das Judentum zum Kennen durch gemeinsames Lernen anzubieten. Wir haben einen langen Lern-Weg vor uns...

Machen Sie mit!

In unseren Dank schließen wir ein:

die Institution, die uns Monat für Monat räumlich beherbergt, nämlich die gewerkschaftliche Bildungseinrichtung „Arbeit und Leben“, und deren Leiter Bernd Schütze;

die Stadt Göttingen, anlässlich dieses Ereignisses vertreten durch das Kulturamt und dessen Leiter Hilmar Beck,

den Sponsor des gestrigen Konzerts, die Sparkasse Göttingen,

Herrn Günter Blümel, den Leiter der Volkshochschule Göttingen, der uns mit Rat zur Seite stand und steht;

Frau Himme, Herrn Hertel und Frau Winnemuth angesichts ihres Einsatzes als Vorverkaufsstellen für die beiden Konzerte, mit denen wir an die Öffentlichkeit getreten sind, nämlich „Hoffnungsland“ im November vergangenen Jahres und gestern den Gesängen von Kantorin Mimi Sheffer, die uns auch heute musikalisch begleiten wird, unterstützt von Michael Schäfer;

und unseren Referenten!

Zusammen arbeiten wir derzeit mit der Volkshochschule Göttingen sowie mit Bet Deborah in Berlin.

Angestrebt ist eine Zusammenarbeit mit den vor kurzem gegründeten oder in Gründung stehenden Jüdischen Lehrhäusern anderer Städte wie z.B. Bremen oder Frankfurt sowie der Jüdischen Volkshochschule in Berlin.

Dieses wird uns nur bereichern.

Ich danke Ihnen allen.

(c) Eva Tichauer Moritz 


 

Festvortrag von Prof. Dr. Thomas Bürgenthal, Richter am UN-Gerichtshof in Den Haag

 

Grußwort von Sara-Ruth Schumann, stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen und Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Oldenburg

 

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